Liebe Väter im Herrn, liebe Brüder und Schwestern!
Immer wieder von Neuem zeigt Gott Sein Erbarmen und Seine Langmut mit unserem Geschlecht. Allein der Mensch wollte nicht auf Ihn hören und nicht anerkennen, in welch großem Maß er von göttlicher Hilfe und Gnade abhängt. Der Mensch wollte Gott durch sich selbst ersetzen, als er sich gedankenlos in die Welt – die Schöpfung Gottes, und die Natur des Menschen einmischte. Schon der Mensch, der die Euthanasie legalisiert, will die ihm von Gott bestimmte Zeit seines Todes nicht annehmen; er will nicht den gottgegebenen Unterschied zwischen Mann und Frau anerkennen, die besondere Berufung eines jeden; er ist nicht bereit, das Kindergebären als natürliche Erscheinung seines Lebens anzuerkennen, er lässt seine Sprösslinge nicht auf natürliche Weise wachsen.
Erstaunt es da, dass ständig neue Krankheiten auftauchen, und dass es gegen sie keine Heilmittel mehr gibt, die das Los der Infizierten lindern würden?
Eine Epidemie hat uns erreicht, die bei weitem nicht so schlimm ist wie das, womit unsere Vorfahren zu kämpfen hatten, und der Mensch von heute ist hilflos! Schulen müssen geschlossen werden, Universitäten und Versammlungsstätten. Ärzte und medizinisches Personal sind überlastet, die Krankenhäuser kommen nicht nach, und mancherorts werden sogar die Kirchen geschlossen. Doch „mitleidsvoll und barmherzig ist der Herr, langmütig und reich an Erbarmen“ (Ps 102,8). Er wartet auf unsere Umkehr zu Ihm und verlässt uns nicht, Er lädt uns keine größere Last auf, als wir sie tragen können.
Ist unsere Gesellschaft etwa nicht der alten Stadt Ninive ähnlich? Ihr König erhob sich von seinem Thron, legte seinen königlichen Umhang ab, bekleidete sich mit einem Trauergewand und setzte sich in Asche, und er ließ den Niniviten auf Veranlassung des Königs und seiner Würdenträger sagen: „Menschen und Tiere, Rinder und Schafe dürfen nichts zu sich nehmen, nicht auf die Weide gehen und kein Wasser trinken. Mensch und Tier sollen sich in ein Sackgewand hüllen und mit Macht zu Gott rufen, und ein jeder soll sich bekehren von seinem bösen Tun und von dem Unrecht, das an seinen Händen ist!“ (Jon 3,6-8). Es ist kein Zufall, dass die gegenwärtige Katastrophe in der Großen Fastenzeit über uns kommt und sich verstärkt. Die Einwohner Ninives zögerten nicht, sie warteten nicht ab, ob sich die Prophezeiung erfüllt, sondern erlegten sich unverzüglich Gebet und Fasten auf. Und der Herr sah von der Bestrafung ab.
Wie sollen wir dieser Tage handeln, da die Gefahr über uns schwebt, dass die Gottesdienste in unseren Kirchen und der Vollzug der Mysterien ausgesetzt werden? Lasst uns in der heutigen Heimsuchung Gottes zuallererst die göttliche Gerechtigkeit anerkennen, die uns eine Strafe für unsere Sünden auferlegt, lassen wir uns dazu erwecken, uns zu bessern. Lasst uns beim Fasten und Gebet nicht nachlassen, um den allbarmherzigen Gott gnädig zu stimmen! Ich rufe jeden Gläubigen der deutschen Diözese auf, beharrlich morgens und abends die festgelegten Abend- und Morgengebete zu verrichten, und dabei das Gebet des ehrwürdigen Ephrem des Syrers hinzuzufügen, aber auch seine Seele mit der regelmäßigen Lesung des Psalters zu nähren.
Die Zeit der Ausbreitung von Krankheiten ist auch die Zeit, die uns ermöglicht, unseren Nächsten zu dienen. Unter Bedingungen, da in Deutschland die Schulen und Kindergärten geschlossen wurden, und gleichzeitig ältere Menschen sich als die am meisten verwundbaren Glieder unserer Gesellschaft erweisen, rufe ich dazu auf, sich bei der Nutzung der sozialen Netzwerke und dem Haschen nach Neuigkeiten selbst Grenzen zu setzen, den Werken der Liebe und Barmherzigkeit in seiner Familie und engstem Umkreis dafür mehr Zeit zu widmen.
Lasst uns gleichzeitig nicht nachlässig bei der Anwendung vorbeugender Mittel und Maßnahmen sein, die uns vom Staat zur Erhaltung oder zur Wiedererlangung unserer Gesundheit, sowie zur Abwendung einer weiteren Ausbreitung der Krankheit vorgeschrieben wurden.
Auch wir können dann auf Erbarmen hoffen, wie es der Herr den Niniviten gewährt hat: „Als nun Gott ihre Werke sah, dass sie sich von ihrem bösen Tun abkehrten, da reute Ihn das Böse, das Er ihnen zu tun angedroht hatte, und Er tat es nicht“ (Jon 3,10).
+ Mark,
Metropolit von Berlin und Deutschland
Berlin-München, den 5./18. März 2020